Viele mittelständische Unternehmen in Deutschland sind Weltmarktführer auf ihrem Gebiet oder werden als Hidden Champions gelobt. Mit Fleiß und technischer Kompetenz steht Deutschland als robuster Industriestandort mit hohem Qualitätsanspruch da. Diesen Zustand wollen wir erhalten. Traditionsunternehmen durchlaufen immer wieder Phasen, in denen sie sich ihrer „Kernkompetenzen“ besinnen. Wir identifizieren Stärken und Schwächen, um Unternehmen von innen heraus strategisch neu aufzustellen. Dabei kommt es nicht selten zu erheblichen Diskrepanzen mit Marktgegebenheiten und Kundenanforderungen. Außerdem entsteht eine gewisse Lethargie, da bestehende Kompetenzen lediglich genutzt, aber nicht zwingend weiterentwickelt werden. Manchmal fehlt es uns an Mut für radikale Veränderungen. Gerade in Deutschland gilt Solidität als Grundwert. Traditionelle Unternehmen treffen Entscheidungen, die sicher sind – ein gutes Geschäftsmodell muss so schnell wie möglich rentabel sein.
Der Druck steigt
Die Gefahr ist groß, dass uns die Zeit davonläuft. Neue Unternehmen kommen mit neuen Technologien auf den Markt, die das Potenzial haben, bestehende Strukturen zu zerstören – Disruption ist in aller Munde. Dabei keimt leise die Hoffnung, dass Firmen wie Tesla oder Zalando scheitern, gewissermaßen als Beweis dafür, dass es besser ist, an traditionellen und bewährten Vorgehensweisen festzuhalten. Seit der Einführung von ChatGPT hat jeder verstanden, dass an künstlicher Intelligenz kein Weg mehr vorbeiführt. Wie wir die Technologie für uns nutzen, anstatt sie vor Angst abzulehnen, fällt vielen allerdings noch schwer.
Disruptiv Denken
Disruptive Geschäftsmodelle entstehen nicht der Zerstörung anderer Unternehmen wegen. Vielmehr geht es um die Beantwortung der elementaren Frage: Was kann ich tun, um dem Kunden einen Nutzen zu bieten? Und: Welche Technologie kann ich anwenden, um dies so effizient und effektiv wie möglich zu erreichen? Genau diese Herangehensweise stellt etablierte Unternehmen vor große Probleme. Die erfolgreich herausgearbeiteten Kernkompetenzen des Unternehmens sind plötzlich für die Lösung der identifizierten Kundenprobleme nicht mehr relevant. Um disruptiv zu denken, können wir die Dinge nicht wie gewohnt von innen heraus und evolutionär weiterführen, sondern müssen unser Verhalten drastisch neu programmieren.
Impuls von außen
Radikale Impulse kommen selten von innen. Das haben viele Unternehmen bereits erkannt. Das Festhalten am Zwang zum Erfolg führt dazu, dass neue, über die Grenzen der eigenen Kompetenz ragende Modelle nicht angedacht oder ausprobiert werden. Zu sehr wollen wir an vermeintlich realistische und machbare Konzepte glauben. Fragt man jedoch zu früh nach den Erfolgsaussichten innovativer Konzepte, werden diese nicht in Angriff genommen.
Die Wucht der Veränderung
Mittlerweile nehmen die meisten Unternehmen Startups und die Ideen aus anderen Sektoren ernst und blicken über den eigenen inhaltlichen Horizont hinaus. So erkennen Maschinenbauer die Möglichkeiten der Cloud und entwickeln sich in Richtung von Serviceanbietern, ähnlich wie es Computer- und Softwarehersteller schon seit geraumer Zeit tun. Aber wir müssen unser Verhalten wesentlich stärker ändern, wollen wir mit der Wucht neuer Geschäftsmodelle aus anderen Regionen der Welt mithalten. Ein etablierter Konzern muss sich sehr gut überlegen, wie stark ein Team, das an neuen Ideen und Modellen arbeiten soll, in die Konzernstrukturen eingebunden ist. Außerdem muss die Konzernspitze aktiv an der Entwicklung neuer Modelle teilhaben, um zu erkennen, welche strategischen Implikationen diese auf das Basisgeschäft haben können, ohne gleichzeitig aus Angst vor interner Gefahr auf die Bremse zu treten.
Freiraum
Finanzieller und zeitlicher Freiraum müssen so geschaffen werden, dass Dinge entwickelt, ausprobiert und bei Bedarf auch wieder eingestampft werden können. Aktionäre erlauben etablierten Konzernen keine Verluste. Doch diese müssen in Kauf genommen werden, um neue Ideen zu spinnen. Vielleicht ist eine Idee dabei, die den Unternehmenserfolg in den sich so rasant ändernden Zeiten sichert. Und wenn es schief geht, nimmt man die Erfahrung für die nächste Idee mit.
So wird Scheitern zum Erfolg.